Hochwasserschutz: Deiche reichen nicht

LN 03.12.2023

Hochwasserschutz: Deiche reichen nicht

Universitätsforscher schlagen Alarm: Um Überflutungen zu verhindern, brauche es weitreichendere Maßnahmen

VON STEFFEN MÜLLER

KIEL. Die Sturmflut vom 20. Oktober hat gezeigt, wie anfällig die Küstengebiete in Schleswig-Holstein sind, wenn die Ostsee über die Ufer tritt. Nun schlagen Wissenschaftler Alarm: Deiche alleine werden in Zukunft nicht ausreichen, damit Küstenregionen in Schleswig-Holstein gegen weitere Hochwasser gewappnet sind.

Eine Erhöhung oder eine Rückverlegung bestehender Deiche bieten keinen ausreichenden Schutz bei Sturmfluten, wenn nicht weitere Vorkehrungen getroffen werden. Das ist das Ergebnis einer Studie der Christian-Albrechts-Universität (CAU). Um das Überflutungsrisiko durch den steigenden Meeresspiegel bis 2100 entscheidend zu reduzieren und Menschen, Infrastruktur und Gebäude zu schützen, bedarf es effektiverer Lösungen wie etwa Überschwemmungsflächen.

In zwei aktuellen Studien haben Forschende der CAU sowohl die Schutzpotenziale von Deichen bewertet als auch Überflutungsszenarien für die deutsche Ostseeküste bis 2100 aufgezeigt. Dabei wurden Überflutungsflächen entlang der Ostsee-Küstengebiete sowie erstmals die möglichen Anpassungsoptionen aktueller Deichlinien modelliert. Dafür legten die Wissenschaftler verschiedene Sturmflut- und Meeresspiegelanstiegsszenarien zu Grunde.

„In Schleswig-Holstein sind insbesondere die Flensburger Förde, die Eckernförder Bucht, Fehmarn, Travemünde sowie Lübeck betroffen" , sagt Erstautor Dr. Joshua Kiesel,
Postdoktorand in der Arbeitsgruppe Küstenrisiken und Meeresspiegelanstieg am
Geografischen Institut der CAU.
 
Die Forscher zeigen Lösungsansätze auf, wie sich Küstenregionen gegen Überflutungen rüsten können. So wird es nicht ausreichen, Deiche nur zu erhöhen oder sie weiter ins Landesinnere zurückzuversetzen.

Das Risiko für die Bevölkerung im Vergleich zum heute existierenden Küstenschutz verringert sich laut Studie nur um maximal 26 Prozent, wenn Deiche ohne weitere Maßnahmen instandgesetzt würden.

Insbesondere die
Flensburger Förde, Fehmarn, Travemünde und Lübeck sind betroffen.
Joshua Kiesel, CAU-Forscher
 

Somit brauche es eine Kombination aus neuen Deichanlagen und natürlichen Pufferzonen, die zwischen Meer und Deich landeinwärts geschaffen werden. Als Alternativen schlagen die Forscher Küstenfeuchtgebiete vor, die mit ihrer Vegetation die Oberflächenrauigkeit erhöhen. In diesen Pufferzonen können sich selten gewordene Lebensräume wie Salzwiesen und Schilf -röhrichte entwickeln, die auch zur Erhaltung der Biodiversität beitragen.

Die Forscher betonen, dass keine Zeit bleibe, mit der Umsetzung des Küstenschutzes zu warten. Mit dem Klimadeichkonzept des Landes Schleswig-Holstein, das unter anderem 360 Millionen Euro für den Deichausbau vorsieht, und den geplanten Deichkonstruktionen entlang der deutschen Ostseeküste sind zwar bereits erste Maßnahmen zum Küstenschutz auf den Weg gebracht worden. Doch in Zukunft müsse es eine engere Zusammenarbeit zwischen Forschung und Politik geben, sagt Kiesel, der mittlerweile als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Amsterdam tätig ist. „Wir brauchen mehr Forschung über die Effektivität alternativer Anpassungskonzepte an den Meeresspiegel."

Aufeinander folgende Sturmfluten könnten sich in einem kurzen Zeitraum zukünftig häufen, glaubt Kiesel: „Die bereits durch die erste Sturmflut geschwächte Infrastruktur wäre bei nachfolgenden Ereignissen deutlich anfälliger, mit noch schlimmeren Konsequenzen für die Menschen an der Küste. “

Die Zeit dränge, noch aber könne gehandelt werden sagt Prof. Athanasios Vafeidis Co-Autor beider Studien um Mitglied im CAU-Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science.