Karte zeigt Meeresspiegelanstieg: Diesen Orten an der Lübecker Bucht droht Überflutung

Das Forscherteam um Caroline Schuldt (29) von der HafenCity Universität (HCU) hat die interaktive Karte zum Meeresspiegelanstieg erstellt und erstmals auch regional unterschiedliche Wasserstände an den Küsten mit einbezogen. Zwar profitiere die Ostseeküste von einem natürlichen Schutz vor Hochwasser durch Steilküsten und ein höhergelegenes Land als die flache Nordseeküste, gleichwohl liege auch die Küste zwischen Flensburg und Lübeck in der Gefahrenzone.
Drei simulierte Klimaszenarien zum Ostsee-Meeresspiegelanstieg
Dass der Meeresspiegel steigen wird, gilt als realistisch: Der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis droht ins Meer zu rutschen. Dadurch würde sich der Meeresspiegel weltweit erhöhen. Forscher beobachten die Entwicklungen am „Doomsday Glacier“ deswegen seit Jahren mit Sorge. In drei beispielhaften Klima-Szenarien hat das Team der HCU die Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs zwischen 47 Zentimetern und 1,40 Metern auf regionaler Ebene dargestellt. Im schlimmsten Fall müssten Tausende Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner Häuser und Grundstücke aufgeben.
Szenario 1: Meeresspiegelanstieg an der Ostsee um 47 cm – Beispiele
Szenario eins (Erwärmung um 1,8 Grad Celsius, Anstieg der Meeresspiegel um 47 Zentimeter): Bereits dann wäre die Halbinsel Graswarder vor Heiligenhafen Geschichte und die bunten denkmalgeschützten Strandvillen dort würden überflutet. Auch beliebte Strände zum Beispiel in Lensterstrand und Großenbrode wären ein Raub der Ostsee. Große Teile der Ancora Marina in Neustadt wären bereits bei diesem Szenario nicht mehr nutzbar.
Szenario 2: Meeresspiegelanstieg an der Ostsee um 70 cm – Beispiele
Szenario zwei (Erwärmung um 3,7 Grad Celsius, Meeresspiegelanstieg um etwa 70 Zentimeter) verschärft die Lage. Auf Fehmarn wäre der ganze Nordwesten unter Wasser: Campingplätze, Strände, das Wasservogelreservat Wallnau, Wiesen, Weiden und auch einige Dörfer wie Westermarkelsdorf.
Szenario 3: Meeresspiegelanstieg an der Ostsee um 140 cm – Beispiele
Szenario 3 (Anstieg um 1,40 Meter, ohne Temperaturanstieg gerechnet). Hier wäre das gesamte Hinterland zwischen Lensterstrand und Kellenhusen bis nach Cismar überschwemmt, ebenso die Strände und das Hinterland zwischen Pelzerhaken und Rettin.
Auf Fehmarn wäre dann auch Petersdorf unter Wasser. In Niendorf wäre die Aalbeek-Niederung überschwemmt, ebenso alle Ufer des Hemmelsdorfer Sees.
Große Areale der Hohwachter Bucht stünden vor dem Untergang. In Travemünde wären die Promenade und große Teile des Priwalls und des Skandinavienkais überschwemmt. Weiter traveaufwärts wären Gothmund, Israelsdorf, der Schellbruch und ein großes Gebiet südlich der Autobahn bei Bad Schwartau unter Wasser. Der Anstieg wäre auch auf der Lübecker Wallhalbinsel noch deutlich zu spüren.
Hochwasserschutz: Land und Kommunen erhöhen die Deiche
„Das sehr realistische Szenario beruht auf neuesten Erkenntnissen“, sagt Expertin Caroline Schuldt. „Mich alarmiert: Selbst ein kleiner Temperaturanstieg hat schon große Auswirkungen.“ Kommunen in Schleswig-Holstein wollen handeln. Eckernförde plant bereits neben Deichen am Strand einen Wall im Hafen, um sich besser vor Fluten zu schützen – für mehr als 25 Millionen Euro.
Minister: Schutz vor der Klimakrise hat oberste Priorität
„Schleswig-Holstein wird als Land zwischen den Meeren besonders von den Folgen des menschengemachten Klimawandels betroffen sein. Wir erhöhen schon heute unsere Deiche zu sogenannten Klimadeichen, damit wir sicher in unserem Land leben können“, sagt dazu Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Der Schutz des Landes vor den Folgen der Klimakrise habe für die Landesregierung oberste Priorität. „Wir werden als Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten sehr große Anstrengungen unternehmen müssen, um uns und unser Land an den Klimawandel anzupassen. Umso wichtiger ist es, dass wir die galoppierende Klimakrise bekämpfen.“
740 Millionen Euro für Küstenschutz
Für Schleswig-Holsteinals Land zwischen den Meeren hat der Küstenschutz eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Etwa ein Viertel der Landesfläche, auf der 333 000 Menschen wohnen und Sachwerte in Höhe von 60 Milliarden Euro vorhanden sind, ist durch Meeresüberflutungen gefährdet, erklärt das Kieler Umweltministerium. Ohne Schutzmaßnahmen wären Nutzungen in diesen Küstenniederungen kaum möglich. Darüber hinaus besteht fast die gesamte 1110 Kilometer lange Küstenlinie aus lockeren Sedimenten, die während der Sturmfluten leicht abgetragen werden können.
Um diesen Gefahren zu begegnen, habe das Land in den letzten 10 Jahren etwa 740 Millionen Euro ausgegeben. Unter anderem wurden damit bereits 25 Kilometer Landesschutzdeiche als sogenannte Klimadeiche und drei Halligwarften als Klimawarften verstärkt. Seit 1963 setze das Land Strategien für den Küstenschutz im „Generalplan Küstenschutz“ in die Tat um. Die aktuelle fünfte Fortschreibung wurde im Februar dieses Jahres von der Landesregierung verabschiedet. Schwerpunkt ist die Anpassung an den Klimawandel. Durch Baureserven können Deiche, wenn erforderlich, ohne großen Aufwand nochmals um einen Meter erhöht werden kann.
Studie zeigt eindringlich die Herausforderungen
Die Hamburger Studie zeige nochmals eindringlich die Herausforderungen, die sich für ein Küstenland wie Schleswig-Holstein aus dem menschgemachten Klimawandel und seinen Folgen ergeben. Bei dieser und vergleichbaren Studien sei aber zu beachten, dass die bestehende Küstenschutz-Infrastruktur nicht berücksichtigt werde. Bei Berücksichtigung dieser Anlagen wäre ein Großteil der dargestellten Flächen nicht mehr betroffen, erklärt das Ministerium.
Stadt Lübeck trifft Vorkehrungen
In Lübeck sind durch Ostseehochwasser insbesondere Bereiche in Travemünde als auch in der Lübecker Altstadt betroffen. Durch den Trichtereffekt der sich in Richtung Innenstadt verengenden Trave seien die Schwankungen des Wasserstands in der Altstadt meist größer als direkt an der Küste, erklärt die Stadt. Hier gebe es technische Hochwasserschutzeinrichtungen wie etwa Rückhaltemaßnahmen – etwa im Bereich Schellbruch – , mobile Schutzmaßnahmen an Gebäuden der Lübecker Altstadt oder entlang der Vorderreihe in Travemünde und auch Hochwasserschutzwände, zum Beispiel beim Klärwerk der Entsorgungsbetriebe in der Warthestraße.
Hansestadt ist Partner von Forschungsprojekten
Die Menschen in Lübeck und Travemünde sorgten mit Hilfe von Dammbalkenverschlüssen vor und sichern so ihre Häuser. Diese individuelle Vorsorge bei Überflutungsrisiken sei gesetzlich verankert. „Da jedoch viele Bürgerinnen und Bürger nicht darum wissen, ist die Hansestadt Lübeck seit Herbst 2021 Praxispartner im Forschungsprojekt „Komm.Flut.Ost“. Ziel des Projektes ist, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, um die Bürgerinnen und Bürger über die Überflutungsrisiken zu informieren und Anpassungsmöglichkeiten aufzuzeigen“, erklärt Sprecherin Nicole Dorel. Die Hansestadt sei zudem seit Sommer 2021 Praxispartner im Forschungsprojekt SEASCApe II. „Anhand von Lübeck werden durch die Forschungspartner die zukünftigen Hochwasserrisiken und möglichen Anpassungsmaßnahmen untersucht.“
Von Rieke Beckwermert und Christian Risch