Tourismus an der Lübecker Bucht: Sind die Grenzen des Wachstums erreicht?

BUND: Die Grenzen sind längst überschritten

„Die Grenzen sind schon längst überschritten“, sagt Ole Eggers, der Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Es habe in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren ein enormes Wachstum an der Küste gegeben, finanziell gefördert durch die verschiedenen Landesregierungen. „Wir haben schon früh vor den Folgen gewarnt“, sagt Eggers. „Jetzt sind wir an der Stelle, wo die Bürger sagen: es reicht, die Belastungen für die Küstenregionen sind zu groß.“ Das gelte übrigens neben der Lübecker Bucht auch für die Insel Sylt und für Büsum.

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Touristen wollen intakte Natur

„Tourismus ist ohne Frage ein wichtiger Wirtschaftszweig in Schleswig-Holstein, aber uns geht es darum, den Flurschaden durch Fehlentwicklungen zu vermeiden“, erklärt Eggers. Wenn man Übernachtungsgäste rufe, kämen die Tagestouristen, und die ließen viel weniger Geld im Land. Sanfter Tourismus im Binnenland müsse deshalb stärker gefördert werden als weitere Großprojekte an der Küste. „Touristen möchten keine Bettenburgen, sondern intakte Natur mit Knicks und blühenden Wiesen erleben“, sagt der BUND-Landesgeschäftsführer.

„Toleranz für Neubauten im Stil der 70er Jahre sinkt“

„Quantitatives Wachstum, ein Immer mehr auf Kosten der Natur und der Menschen ist nicht mehr zeitgemäß“, erklärt auch Andreas Tietze, der tourismuspolitische Sprecher der Grünen im Kieler Landtag. Projekte müssten sich heute mehr denn je an Nachhaltigkeit orientieren. Viele Menschen wollten eine andere Form des Tourismus. Große Neubauten und Beton-Bettenburgen seien nicht mehr gefragt, Slow-Tourism sei der Trend: Naturerfahrung, gesunde Ernährung und Bewegung verbunden mit kultureller Bereicherung sind die Stichworte. „Dieser Trend zeigt sich übrigens nicht nur beim eigenen Urlaub der Menschen, sondern auch in den Urlaubsorten, dort sinkt die Toleranz für Neubauten im Stil der 70er Jahre“, erklärt Tietze.

Buchholz: Frühzeitig für Akzeptanz werben

Für Wirtschafts- und Tourismusminister Bernd Buchholz (FDP) zeigt die Ablehnung der Hotelprojekte, „dass wir für die Akzeptanz des Tourismus überall werben müssen“. Man beobachte diese Entwicklung in den vergangenen Jahren und greife sie auch in der Tourismusstrategie auf. „Akzeptanz vor Ort ist ein wichtiges Kriterium. Die Menschen vor Ort müssen aber auch wissen, wie viele in ihrem Umfeld vom Tourismus leben und das müssen sie auch bedenken.“ Die Bürgerentscheide seien natürlich kein Rückenwind für neue Projekte. Man müsse bei solchen Planungen frühzeitig Werbung in der einheimischen Bevölkerung machen.

Sager: Mehrwert für die Bevölkerung muss erkennbar sein

Zukünftig werde es darum gehen, „neue, außergewöhnliche oder einzigartige Beherbergungskonzepte zu entwickeln“ – zum Beispiel ein Inklusionshotel an der Stadtbucht in Eutin, erklärt Ostholsteins Landrat Reinhard Sager. Neben der Steigerung der Qualität sei es auch wichtig, neue Zielgruppen anzusprechen und höherwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Von großer Bedeutung sei es auch, die Bürger durch frühzeitige Information einzubinden und die Akzeptanz für den touristischen Ausbau in der Bevölkerung zu erhalten. „Der Mehrwert muss für die Einheimischen erkennbar sein, zum Beispiel durch die Schaffung von gut entlohnten und ganzjährigen Arbeitsplätzen und Personalwohnraum oder auch durch die Verbesserung des Freizeitangebotes für die eigene Bevölkerung“, erklärt der Landrat.

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TASH-Chefin: Gesundes Maß finden

„Es gilt, das gesunde Maß zu finden, denn klar ist auch: Das vielfältige Angebot an Kultur, Freizeitmöglichkeiten, Gastronomie und Einzelhandel kann selten ausschließlich von Einheimischen leben“, sagt Bettina Bunge, die Geschäftsführerin der Tourismusagentur Schleswig-Holstein (TASH). Tourismus bedeute auch Lebensqualität und Infrastruktur für die Bevölkerung vor Ort. Aber es sei wichtig, einen Ausgleich der Interessen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Urlaubsgästen zu schaffen. „Nur so können Tourismusbranche und Bevölkerung langfristig gedeihlich zusammenleben.“

IHK begrüßt Investitionen

„Grundsätzlich begrüßen wir Investitionen in einen der wichtigsten Wirtschaftszweige unseres Landes ausdrücklich, insbesondere dann, wenn damit eine Stärkung der bestehenden Strukturen einhergeht und die noch vorhandene Saisonalität damit noch besser als bisher überwunden werden kann“, sagt Johannes Grunwald, Referent Tourismuswirtschaft der IHK zu Lübeck. „Eins ist klar: Qualität muss dabei im Vordergrund stehen. Denn attraktive Angebote und eine gute Aufenthaltsqualität eines Ortes machen den Unterschied zwischen Reisezielen aus. Hier gilt: Wer rastet, der rostet.“

„In Zukunft auf nachhaltige Konzepte setzen“

Doch was steht für die Experten jetzt im Vordergrund? Und welche Konsequenzen sollten die Kommunen ziehen, in denen Hotelprojekte gerade abgelehnt wurden? „Nicht in der nächsten Runde das Gleiche wieder starten, sondern es als ein Signal sehen, anders weiterzudenken und auf langfristig erfolgreiche und vor allem nachhaltige Konzepte zu setzen“, sagt Andreas Tietze von den Grünen. „Die vorhandene Infrastruktur muss erhalten und ertüchtigt werden, dazu stehen wir Grüne“, sagt er. Man sehe den Bedarf an der Lübecker Bucht aber eher im Ausbau von Wander- und Radwanderwegen, Infotafeln und naturnahen und nachhaltigen Übernachtungsmöglichkeiten.

Buchholz: Bettenkapazität ist nicht gestiegen, aber die Qualität

Die bereits realisierten Hotelprojekte der vergangenen Jahre hätten nicht dazu geführt, dass es mehr Betten im Land gebe, sagt Tourismusminister Bernd Buchholz. Neue Hotels seien entstanden und alte, die auch qualitativ nicht mehr den Urlaubsansprüchen entsprachen, seien aus dem Markt gegangen. „Insgesamt ist die Bettenkapazität nicht gestiegen, und da sind wir auf dem richtigen Weg, denn wir müssen die Qualität des Urlaubs in Schleswig-Holstein steigern, damit wir weiter attraktiv bleiben“, erklärt er.

Sager: Auf Ganzjahres-Tourismus setzen

„Von besonderer Relevanz sind Betriebe, die den Ganzjahres-Tourismus fördern und durch entsprechend qualitativ hochwertige Angebote eine Steigerung der Wertschöpfung ermöglichen“, erklärt Landrat Reinhard Sager. Ostholstein sei sehr gut aufgestellt. „Es gibt bereits ein vielfältiges Angebot im Tourismusbereich, das jedem Wunsch und Anspruch gerecht wird, ob Camping, Lifestyle-Hotel oder Ferienpark.“

TASH: Gleichmäßige Auslastung sichert Beschäftigung

„Wer Wachstum nur in Quantität denkt, macht es sich zu einfach“, sagt TASH-Chefin Bettina Bunge. Sicher sei vor allem in der Hauptsaison die Lübecker Bucht ein Reiseziel für Übernachtungsgäste und Tagesgäste gleichermaßen. „Es geht aber nicht um mehr Menge, sondern um mehr Qualität sowie eine bessere Verteilung der Gäste im Jahresverlauf. Nicht alle müssen zur selben Zeit am selben Ort urlauben.“ Die TASH konzentriere ihre Werbeaktivitäten seit einigen Jahren schon primär auf die Nebensaison. Dann hätten bestehende Beherbergungsbetriebe noch Kapazitäten, sind Restaurants, Promenaden, Geschäfte und Freizeiteinrichtungen weniger gefüllt. „Wenn wir eine gleichmäßige Auslastung über das Jahr haben, dann sichert es auch Beschäftigung in sonst traditionellen Saisonbetrieben.“

IHK-Experte: Einbindung der Bürger schafft Identifikation

„Vor allem in den Küstenregionen wird der Tourismus auch in Zukunft einen großen Wirtschaftsfaktor darstellen. Wird die Bevölkerung früh und mit Transparenz in die Planungen eingebunden, steigt unserer Einschätzung nach die Akzeptanz für tourismuswirtschaftliche Veränderungen innerhalb der Gemeinden“, sagt auch Johannes Grunwald, der Tourismusreferent der IHK zu Lübeck. Vor allem die Möglichkeit, sich selbst in die touristische Entwicklung einzubringen, schaffe von Beginn an aktiv Mehrwerte für die jeweilige Gemeinde und erhöhe die Identifikation der Einwohner mit dem Projekt und ihrer Kommune. Grunwald: „Bei der Einbindung der Bürger kommt es von Anfang an darauf an, die positiven Effekte herauszustellen: neue Arbeitsplätze, eine bessere Verkehrsanbindung, öffentliche Naherholungsgebiete oder Freizeiteinrichtungen.“

Von Christian Risch